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Fragestunde mit ehemaligem Premierminister Russlands

Geographiekurs 11 im Gespräch mit Herrn Michail Kassjanow, dem ehemaligen Premierminister Russlands (2000 – 2004)

Man kann es sich kaum vorstellen, der aktuelle Geographiekurs der Jahrgangsstufe 11 hat an diesem Donnerstag, dem 11. Februar, die Möglichkeit bekommen, an einer wirklich außergewöhnlichen und nicht alltäglichen Gesprächsrunde teilzunehmen. Die Schüler:innen durften einem durch Herrn Michail Kassjanow (von 2000 bis 2004 Premierminister der Russischen Föderation) auf Englisch gehaltenen 30-minütigen Vortrag zur wirtschaftlichen Entwicklung Russlands seit dem Niedergang der Sowjetunion beiwohnen und im Anschluss weiterführende und ergänzende Fragen stellen.

Passend zum Thema in der Jahrgangsstufe 11 „Unterschiedliche Entwicklungsstände von Räumen als Her-ausforderung“ werden im Fach Geographie verschiedene Länder genauer untersucht und miteinander verglichen. U. a. spielt dabei die wirtschaftliche Situation eines Landes eine große Rolle. Ebenfalls in der Jahrgangsstufe 11 nutzen die Schüler:innen häufig die Möglichkeit, eine Präsentationsprüfung als Übung für das Abitur im darauffolgenden Jahr zu simulieren. Ein Schüler der Jahrgangsstufe 11 entschied sich hierbei für das Fach Geographie und thematisierte die wirtschaftliche Entwicklung Russlands in den letzten Jahren. Zufälligerweise ist dieser Schüler mit der Tochter des ehemaligen Premiers befreundet und vermittelte den Kontakt. Nachdem durch die Botschaft und Herrn Beck bestätigt wurde, dass eine Videokonferenz mit diesem bedeutenden Politiker stattfinden könne, organisierte Herr Bartels (Fachlehrer bis zum Halbjahr) zügig einen Termin und Frau Riedel (Fachlehrerin des Kurses seit dem zweiten Halbjahr) sammelte und bündelte Fragen zusammen mit den Schüler:innen.

Am 11.02.2021, um 13:00 Uhr, saßen die Elftklässler, Herr Bartels und Frau Riedel erwartungsvoll vor der Leinwand in der Aula und Herr Kassjanow schaltete sich pünktlich hinzu. Herr Bartels übernahm die Moderation und stellte zu Beginn der Videokonferenz Herrn Kassjanow und seinen Werdegang vor. 1957 in der Nähe Moskaus geboren absolvierte Herr Kassjanow nach einem sehr guten Schulabschluss in den 70er Jahren ein Ingenieursstudium. Zwischenzeitlich musste er dieses für seinen Dienst in der Armee unterbrechen, nahm es im Verlauf der 80er Jahre wieder auf und schloss es mit einem Diplom in Bauingenieurswesen ab. Seine Ausbildung wollte Herr Kassjanow zu diesem Zeitpunkt aber noch weiterführen und erhielt im Jahr 1987 ein Diplom für „Higher EconomicCourses“ bei Gosplan, dem damaligen Staatlichen Komitee für Wirtschaftsplanung. Herr Kassjanow kletterte schnell die politische Karriereleiter empor. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion arbeitete er sehr erfolgreich im Ministerium für Wirtschaft und Finanzen und wurde unter Präsident Boris Jelzin zum Finanzminister ernannt. Im Jahr 2000 übernahm er das Amt des Premierministers, welches er bereits vier Jahre später niederlegte und in die Opposition wechselte. Bis heute ist Herr Michail Kassjanow ein respektierter Experte für die politische und wirtschaftliche Lage Russlands und ergreift in vielen Diskussionsrunden und auf Kongressen das Wort.

Im Anschluss an die Vorstellung begann Herr Kassjanow seinen Vortrag. Dabei erläuterte er wesentliche wirtschaftliche und politische Entwicklungen, Probleme und Errungenschaften seit der Transformation nach 1989. Während der 90er Jahre kämpfte Russland u. a. mit einer sehr hohen Schuldenlast, einer extrem schlechten Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, einer unzufriedenen

Bevölkerung und schließlich mit der Finanzkrise 1998. Am Ende der 90er Jahre forderte ein Großteil der Bevölkerung eine starke Führungspersönlichkeit, die sie in Wladimir Putin sah und so wurde dieser folglich zum Präsidenten gewählt. Ab dem Jahr 2000 standen Wladimir Putin als Präsident und Michail Kassjnaow als Premierminister an der Spitze der Regierung. In der Zeitspanne von 1999 bis 2004 wurde z. B. das bis heute gültige Steuersystem eingeführt und das Bruttoinlandsprodukt konnte laut Herrn Kassjanow innerhalb von fünf Jahren um 40 % gesteigert werden, was insbesondere auf eine EU-freundliche Politik zurückzuführen war. Während dieser fünf Jahre entwickelten sich die politischen Ansichten zwischen Wladimir Putin und Michail Kassjanow auseinander, was zu seinem Rücktritt als Premierminister führte. Nach 2004 gewann der Präsident weiterhin an Popularität, weil die Wirtschaft sich weiterhin positiv entwickelte. Laut Herrn Kassjanow sei dieser Trend ausschließlich den politischen Maßnahmen der vorherigen Jahre zuzuschreiben. U. a. durch Präsident Putins geänderte Haltung gegenüber der EU, aber auch durch den Militäreinsatz in Georgien 2008, verloren Präsident Putin und seine Regierung an Vertrauen insbesondere in der EU, teilweise aber auch in der eigenen Bevölkerung. Seither und verstärkt in den letzten fast sieben Jahren, d. h. seit der Annexion der Krim, sei das Land in den internationalen Beziehungen zunehmender Kritik ausgesetzt, durchlebe einen wirtschaftlichen Abschwung und habe stark an Vertrauen verloren. Herr Kassjanow zieht das Fazit, dass es in diesem Land keine Merkmale einer Demokratie gebe. Es fehlten insbesondere freie Wahlen und freie unabhängige Medien. Laut Herrn Kassjanow sei Russland „kein demokratischer Staat“. Die Macht Putins würde abnehmen und Veränderungen wären unausweichlich.

Im Anschluss an diesen Vortrag konnten die Schüler:innen Herrn Kassjanow noch Fragen stellen, was sie unglaublich souverän meisterten. Ihre Fragen wurden passend platziert und die Schüler:innen konnten mit einwandfreiem Englisch glänzen. Nach insgesamt 90 Minuten mit Herrn Kassjanow im Gespräch musste dieser sich jedoch verabschieden, auch wenn sicherlich noch viele Fragen zu stellen gewesen wären. Eine erste kurze Rückmeldung einzelner Schüler bestätigte den Eindruck von Herrn Bartels und Frau Riedel, dass die gesamte Veranstaltung sehr interessant gewesen ist und man sich sicherlich noch lange daran erinnern wird. Wie oft bekommt man schon die Möglichkeit, mit einem ehemaligen Premierminister sprechen zu dürfen? An dieser Stelle soll jedoch betont werden, dass die Äußerungen von Herrn Kassjanow in der nächsten Geographiestunde nochmal kritisch reflektiert werden sollen, schließlich gab diese Gesprächsrunde nur Einblick in seine Sichtweise und die DSM verfolgt selbstverständlich eine differenzierte Demokratieerziehung.

Johanna Riedel